Lebenszyklus

Lebenszyklus von Softwareprodukten

Das Lebenszyklusdenken (Life Cycle Thinking) erweitert die auf den Herstellungsprozess begrenzte Sicht auf ein Produkt zu einer ganzheitlichen systemischen Sicht, von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis hin zur Entsorgung. Das Ziel eines solchen Lebenszyklusdenkens ist es, bereits bei der Entwicklung von Produkten deren ökologische, soziale, humane und wirtschaftliche Verträglichkeit über den gesamten Lebensweg abzuschätzen und die so gewonnenen Erkenntnisse für eine ausgewogene Optimierung des Produktes heranzuziehen (vgl. Tischner et al. 2000, S. 13–14).

Im Umweltmanagement hat sich in der Vergangenheit die international standardisierte Methode der Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment, Abk. LCA) etabliert (Norm DIN EN ISO 14044:2006-10). Mit ihr können die Umweltwirkungen eines Produktes entlang seines Lebensweges bewertet werden. Obwohl sich die Norm explizit auch an immaterielle Produkte, wie Dienstleistungen oder Software richtet, geht sie inhaltlich fast ausschließlich auf die Erfordernisse materieller Produkte mit ihren Stoff- und Energieflüssen ein.

Produktlebenszyklus für Software, der sich am Life Cycle Thinking orientiert, mit beispielhaften Effekten (vgl. Naumann et al. 2011, S. 297)

Für die Berücksichtigung und Einordnung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Produktentwicklung von Softwareprodukten schlagen wir den in Abbildung  gezeigten Produktlebenszyklus vor, der sich an Lebenszyklen materieller Produkte orientiert (vgl. z. B. Deutsches Institut für Normung e.V. 2003, S. 24; Hilty 2008, S. 124). Er setzt sich aus folgenden Phasen zusammen

Lebenszyklus

Entwicklungsphase

Die Entwicklungsphase berücksichtigt Wirkungen, die von der Entwicklung des Softwareprodukts ausgehen. Dies umfasst sowohl den Softwareentwicklungsprozess im Rahmen des Software Engineering als auch anteilig die gemeinsam genutzten Funktionsbereiche und Einrichtungen der Entwicklungsorganisation (z. B. Rechnungswesen, Lohnbuchhaltung, Produktmarketing, Entwicklung der Produktverpackung etc.).

Insbesondere zählt dazu die Energie, die für die Arbeitsplatzrechner der Softwareentwickler, für den Betrieb der IT-Infrastruktur (z. B. Netzwerk und Server) und für die Beleuchtung, Heizung und Klimatisierung der Gebäude notwendig ist. Weitere Wirkungen in der Entwicklungsphase sind die Energie, die für den Transport von Personen und Material aufgewendet wird, wie bspw. Geschäftsreisen und der tägliche Arbeitsweg der Mitarbeiter.
Neben diesen ökologisch und wirtschaftlich fokussierten Wirkungen sind aber auch solche festzustellen, die die Sozialverträglichkeit betreffen, wie bspw. Arbeitsbedingungen oder die Vergütung und soziale Absicherung eventuell Zuarbeitender sog. offshore worker in Ländern mit sehr viel niedrigerem Lohnniveau und sozialen Standards.

Einige dieser Auswirkungen können z. B. durch den Einsatz von Telearbeit oder Videokonferenzen oder durch die Verwendung immaterieller Substitute anstatt der materiellen Produkte abgeschwächt werden (Effekte zweiter Ordnung bzw. Nutzungseffekte). Dies wiederum führt möglicherweise zu Veränderungen in Organisationen, Softwareentwicklungsmethoden oder Lebensentwürfen (Effekte dritter Ordnung bzw. systemische Effekte).

Vertriebs- und Entsorgungsphase (Verteilung und Recycling)

Die Vertriebsphase berücksichtigt Wirkungen auf die Nachhaltige Entwicklung, die sich aus dem Vertrieb und somit der Verteilung des Softwareprodukts ergeben. Dies umfasst sowohl die ökologische Verträglichkeit gedruckter oder elektronischer Bedienungsanleitungen (z. B. Recyclingpapier, Papier aus Zellstoff aus nachhaltiger Forstwirtschaft vs. Raubbau oder unbekannte Herkunft), Transportmittel, Art und Gestaltung der Produkt- und Transportverpackung (z. B. Kartonagen, synthetische Kunststoffe, Biokunststoffe oder bioabbaubare Kunststoffe), Datenträger (z. B. CD oder DVD, USB-Stick, Download) als auch die Größe des Downloads und die für das Bereitstellen des Downloads notwendige IT-Infrastruktur, wenn das Softwareprodukt als solches angeboten wird.

Die Entsorgungsphase nimmt die Umweltwirkungen in den Blick, die sich aus der Entsorgung und dem Recycling der materiellen Teilprodukte eines Softwareproduktes ergeben.

Nutzungsphase

Die Nutzungsphase erklärt Wirkungen, die sich aus der Bereitstellung der Software, deren Nutzung sowie Wartung ergeben. Die Nutzung von Software führt zu mehreren direkten Effekten. Das Ausführen von Programmen benötigt Rechenzeit, um die von dem Programm umgesetzten Dienste ausliefern zu können und induziert dadurch einen entsprechenden Energieverbrauch. In Abhängigkeit von der Art der Software und des durch sie bereitgestellten Dienstes wird außerdem Netzwerkbandbreite und weitere Rechenkapazitäten auf Servern gebunden. Gleiches trifft auf die Größe und Häufigkeit von Updates zu. Die Größe der mit einer Software erstellten Daten beeinflusst die notwendigen Kapazitäten für die Datensicherung.

Neue Softwareprodukte benötigen i. A. aktuelle und leistungsstärkere Hardware als vergleichbare ältere Produkte, was oft zu einem Austausch der vorhandenen Hardware gegen neuere führt. Auf der einen Seite ist heute zwar neue Hardware mutmaßlich energieeffizienter als ältere Hardware, auf der anderen Seite führt die Produktion und Entsorgung von Hardware aber zu erheblichen Aufwänden an Energie und natürlichen Ressourcen (vgl. z. B. Hilty 2008, S. 125–126).

Die Verlängerung der Nutzungsdauer eines Gerätes ist insbesondere angesichts einiger systemischer Effekte, die hier beispielhaft angesprochen werden sollen, besonders relevant:

  • Der Abbau der für die Produktion der Hardware benötigten Rohstoffe kann zu ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Schieflagen führen (vgl. z. B. Behrendt et al. 2007).
  • Alte noch funktionierende aber auch defekte Hardware wird in Entwicklungs- und Schwellenländer exportiert, wo diese zum Teil wiederverwendet, aber auch unter höchst zweifelhaften Umständen in Hinterhöfen recycelt oder unkontrolliert auf Mülldeponieren abgelagert wird (Hilty 2008, S. 129–139).

Neben den Bereitstellungseffekten und systemischen Effekten der Softwarenutzung sind auch die Nutzungseffekte genauer zu betrachten. Auch wenn diese in den frühen Entwurfsphasen einer Software nur abgeschätzt werden können, sind sowohl die erwarteten positiven Effekte (z. B. Dematerialisierungseffekte, Substitutionseffekte) als auch die möglichen negativen Effekte (Induktionseffekte, Rebound-Effekte) zu berücksichtigen, um zu einer ganzheitlichen Wirkungsabschätzung zu gelangen.

   

Deaktivierungsphase

Die Stilllegungsphase berücksichtigt Wirkungen, die auftreten, wenn eine Software außer Betrieb genommen wird. So wird ein Softwareprodukt, das außer Betrieb genommen wird, häufig durch ein anderes (ggf. neues) Softwareprodukt ersetzt. Dies macht es ggf. notwendig, die vorhandenen Daten in das proprietäre Datenformat des neuen Produktes oder in ein offenes Datenformat zu konvertieren oder die Altdaten auf anderen Wegen zugänglich zu machen. Damit sind möglicherweise hohen finanzielle Aufwendungen oder andere Nachteile verbunden, wenn die Altdaten nicht konvertiert werden können, z. B. weil die Altanwendung ein proprietäres Datenformat verwendet.

Außerdem ist in dieser Phase ebenfalls die für Backups der Altdaten benötigte Speicherkapazität relevant, insbesondere dann, wenn die Daten aus rechtlichen Gründen über einen langen Zeitraum vorgehalten werden müssen.

Literaturverzeichnis
  • Behrendt, Siegfried; Kahlenborn, Walter; Feil, Moira; Dereje, Cornelia; Raimund, Bleischwitz; Ruth, Delzeit; Michael, Scharp (2007): Rare Metals. Measures and concepts for the solution of the problem of conflict-aggravating raw material extraction - the example of coltan: Umweltbundesamt (Texte, 23/07). Online verfügbar unter www.umweltdaten.de, zuletzt geprüft am 30.11.2010.
  • Deutsches Institut für Normung e.V. (2003): Umweltmanagement-Integration von Umweltaspekten in Produktdesign und -entwicklung. Deutsche und englische Fassung ISO/TR 14062:2002. 1. Aufl. Berlin: Beuth (DIN-Fachbericht).
  • Norm DIN EN ISO 14044:2006-10, 2006-10: Environmental management - Life cycle assessment - Requirements and guideline (ISO 14044:2006); German and English version EN ISO 14044:2006.
  • Hilty, Lorenz M. (2008): Information technology and sustainability. Essays on the relationship between ICT and sustainable development. Norderstedt: Books on Demand. Online verfügbar unter deposit.d-nb.de.
  • Naumann, Stefan; Dick, Markus; Kern, Eva; Johann, Timo (2011): The GREENSOFT Model: A Reference Model for Green and Sustainable Software and its Engineering. In: SUSCOM 1 (4), S. 294–304. Online verfügbar unter doi:10.1016/j.suscom.2011.06.004, zuletzt geprüft am 16.11.2011.
  • Tischner, Ursula; Dietz, Bernhard; Maßelter, Sandra; Schmincke, Eva; Prösler, Martin; Rubik, Frieder; Hirschl, Bernd (2000): How to do EcoDesign? A guide for environmentally and economically sound design. Frankfurt am Main: Verlag form.
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